Im Oktober 2015 haben sich Robert Bernau und Hogir Ali bei einem gemeinsamen Kochabend in der Baptistengemeinde in Berlin Wannsee kennengelernt. Hogir war als Flüchtling aus dem Irak in einem benachbarten Flüchtlingsheim untergebracht. Robert engagierte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ehrenamtlich für den Verein Visioneers e.V. in der Flüchtlingshilfe.
Schnell entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Robert und Hogir, das durch ein intensives gegenseitiges Lernen über das Leben des Anderen geprägt war. Es stellte sich dabei heraus, dass Hogir möglichst schnell eine eigene Bleibe sucht und nicht mehr im ansässigen Heim wohnen möchte. Die Unterstützung bei der Wohnungssuche entwickelte sich zur Priorität bei den gemeinsamen Treffen. Denn diese stellte sich als schwieriger heraus, als bisher angenommen. Robert erzählt, dass es Zeiten gab, in dem der Grat zwischen Freundschaft und Unterstützung Hogirs zu verwischen drohte, da die benötigte Unterstützung viel Zeit in Anspruch nahm. Denn schnell wurde klar: Einige der Herausforderungen, die ein Geflüchteter bei der Integration zu bewältigen hat, sind riesig. Es gibt viele bürokratische Hürden, die nach der ersten Zeit in der Notunterkunft zu nehmen sind. Wie komme ich an eine Wohnung? Wie lerne ich neue (deutsche) Freunde kennen? Wie kann ich wieder meinen Hobbys nachgehen? Wie finde ich einen passenden Sprachkurs? Und häufig die dringendsten Fragen: Wie finde ich eine Arbeit? Wird mein Schulabschluss anerkannt? Das sind nur einige der Fragen, die sich viele Geflüchtete stellen und bei denen Unterstützung dringend nötig ist.
Vor diesem Hintergrund und der Erfahrung von Robert und Hogir, dass es für das persönliche Verhältnis hilfreich sein kann, wenn Helfen „formalisiert“ wird, ist im Frühjahr 2016 gemeinsam mit Natascha Tepaß, der Gründerin von Visioneers e.V., das Mentorenprogramm entstanden.
Die Idee dahinter: Freiwillige und Geflüchtete formen Tandems mit dem Zweck, dem/der Geflüchteten bei der Erreichung eines konkreten Ziels zu helfen. Das kann von „Ich suche ein WG-Zimmer“ oder „Ich möchte wieder in einer Trommelgruppe mitspielen und weiß nicht wo ich so was in Berlin finde“ bis hin zu „Ich möchte meinen Schulabschluss anerkennen lassen und eine Ausbildung anfangen“ alles sein. Explizit geht es bei dem Programm darum, das Mentoring Verhältnis möglichst formal zu halten. So unterschreiben beide anfangs eine Mentorenvereinbarung, in der Ziel und Absichten festgehalten werden. Ideal ist es, wenn das Mentoring auf ein bis zwei Jahre angelegt ist, und beide 2-3 Stunden pro Woche Zeit haben, am Erreichen des Ziels zu arbeiten. Natürlich schließt dieses formale Tandem eine Freundschaft nicht aus. Aber ähnlich wie auch bei Kollegen kann es ganz angenehm sein, wenn zwischen Arbeitszeit und Feierabendbier getrennt wird.
Seit März 2016 läuft das Mentorenprogramm bei Visioneers e.V. mit mittlerweile 17 Tandems. Einmal monatlich treffen sich alle Mentoren für einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung. Zudem werden die Tandems auf Wunsch durch ein Coaching begleitet, das bei möglichen (z.B. kulturell bedingten) Missverständnissen und Unsicherheiten sehr hilfreich sein kann. Auch bekommen die Mentoren und Mentees fachliche Unterstützung durch den Verein.
Robert und Hogir haben in den letzten neun Monaten, seitdem die beiden sich als Tandem zusammengetan haben, schon viel erreicht. Schon vor dem offiziellen Startschuss für das Mentoring haben sie eine Wohnung für Hogir gefunden. Die besondere Herausforderung war es hier, mit Hogirs Aufenthaltsstatus als anerkannter Flüchtling eine bezahlbare und geeignete Wohnung zu finden. Auch ein weiteres Ziel aus der Mentorenvereinbarung ist bereits erreicht: Einen Praktikumsplatz für Hogir finden, der vielleicht der Weg in eine Ausbildung bedeutet. Aktuell arbeiten die beiden an dem Ziel, einen geeigneten A2 Deutschkurs für Hogir zu finden, der sich mit seinen Arbeitszeiten im Praktikum vereinbaren lässt.
Robert und Hogir sagen beide, dass die größte Herausforderung im Miteinander zunächst die fehlende gemeinsame Sprache war. Anfangs sprach Hogir weder Deutsch noch Englisch, sodass die beiden sich über einen wilden Mix aus Mimik, Gestik und Google Translate verständigten. Doch schien die beiden das nicht abzuschrecken, sondern eher noch motiviert zu haben, schnell diese sprachliche Hürde zu überwinden. Beide erzählen heute von einem großen Vertrauen ineinander und einer Freude und gegenseitigen Dankbarkeit für die gemeinsam erreichten Ziele.
Aus seiner Mentorensicht beschreibt Robert seine Erfahrung so: „In meinen letzten neun Monaten habe ich dafür ein Verständnis entwickelt und erkannt, welch eine große Herausforderung die Integration der Menschen ist und weiterhin sein wird. Dieser Blickwinkel würde viele Menschen in Deutschland nicht über Abschiebung, Zäune und Mauern diskutieren lassen, sondern darüber wie man diese Menschen schnellstmöglich und nachhaltig integrieren sollte. Die Frage die sich letztendlich stellt, ist nicht „Warum nehmen wir diese Menschen auf?“, sondern „Wie wollen wir sie aufnehmen?“.
Wenn auch du Lust hast, ähnliche Erfahrungen wie Robert und Hogir zu machen und einen Geflüchteten bei einem wirklichen Ankommen in dieser Gesellschaft zu unterstützen, dann kontaktiere uns. Mehr als eine gute Portion Motivation, ein bisschen Geduld und den Willen „dranzubleiben“, ein paar Stunden Zeit pro Woche, sowie kulturelle und persönliche Offenheit für einen neuen Menschen in deinem Leben, braucht es nicht!
Um es abschließend mit Roberts Worten zu sagen: „Durch das Mentorenprogramm verändert man nicht die ganze Welt. Aber man kann die ganze Welt einer Person verändern.“