Ankunft in einem indigenen Dorf
Ein kleines Dorf, bestehend aus einigen Holzhäusern, einem kleinen Laden und einer Schule. Als wir ankommen, ist niemand zu sehen. Kein Wunder – denn es regnet. Wir halten vor dem kleinem Laden, steigen aus und werden von zwei Männern begrüßt, einer von ihnen ist der Dorfvorsteher, Juan*. Ich bin mit Mundi, meinem Kollegen, und Richard, unserem Fahrer, unterwegs. Wir betreten den kleinen Laden und begrüßen eine ältere Frau, um die 60, die typische bunt gewebte Kleidung trägt und eine junge, schwangere Frau, die ein kleines Mädchen bei sich hat. Sie ist vielleicht 2 Jahre alt. Das kleine Mädchen trägt eine kleine Tüte mit Knabberzeug bei sich und isst immer mal wieder ein Stück daraus. Als sie mich sieht, kreischt sie kurz auf, eilt in die andere Ecke des Raumes und versteckt sich. Sie hat in ihrem Leben wahrscheinlich noch nicht sehr viele Gringos (Bez. für Menschen mit weißer Haut) gesehen. Es muss für sie schon sehr komisch, sogar etwas beängstigend sein, eine junge Frau wie mich mit heller Haut, hellbraunen Haaren und blauen Augen zu sehen.
Wir betreten das Gemeinschaftshaus, ein einfaches Holzhaus mit Wellblechdach, der Boden besteht aus einfachem Erdboden. Es riecht nach altem Holz und Erde. Vorne befindet sich eine Tafel und zwei alte Pulte aus einfachem Holz, an einem von ihnen sitzt Juan*.
Workshops zum Thema Bienenzucht
Im hinteren Teil des Gebäudes werden Holzbretter gelagert. In der Mitte des Raumes sitzen schon einige Leute aus dem Dorf auf teilweise kaputten Plastikstühlen. Heute hält Mundi hier einen Taller (Workshop) über Bienenzucht. Meine Aufgabe dabei ist, Fotos vom Taller zu machen.
Während die Leute darauf warten, dass der Taller beginnt, diskutiert eine Frau laut mit Juan*. Ich verstehe nicht so viel, höre nur immer mal wieder das Wort Gringos.
Der Taller beginnt und Mundi fängt an mit einem Vergleich der Volk Israels aus der Bibel und den Inkas. Viele der Dorfbewohner bzw. deren Vorfahren kommen aus der Gegend um Cusco, einer früheren Hochburg der Inkas. Mit dem Vergleich will Mundi zum einen einen Bezug zu ihren Wurzeln herstellen, sie zum anderen auch auf ihrer Ebene abholen, denn sie sind sehr gläubig. Nachdem Mundi so eine Verbindung zu den Menschen aufgebaut hat, fängt er mit dem eigentlichen Taller an. Er macht ihnen deutlich, was für faszinierende Tiere die Bienen sind, schließlich sind sie die einzigen Tiere, durch deren Bestäubung eine Pflanze wachsen kann. Somit sind eigentlich alle Lebewesen auf die Bienen angewiesen. Denn durch ihre Arbeit schaffen sie Leben.
Außerdem erklärt er einige Dinge über die Bienenzucht an sich und welche Möglichkeiten sich dadurch für die Menschen im Dorf erschließen. Zum Beispiel, dass nur das „Gelee Royal“ eine Königin heranwachsen lässt. Deshalb ist es wesentlich wertvoller und kann für mehr Geld verkauft werden, als normaler Bienenhonig. Wenn die Dorfgemeinschaft tatsächlich mit der Bienenzucht anfangen würde, könnte sich diese als guter Nebenverdienst für die Menschen etablieren. Und es hätte auch sehr positive Auswirkungen auf die Natur und die Pflanzen im Dorf und darum herum – unter anderem auch in der Regenwaldkonzession unserer Organisation.
Die Regenwaldkonzession von Atiycuy
Die Regenwaldkonzession ist ein 18.000 Hektar großes Stück Regenwald, welches meiner Organisation Atiycuy von der Forstbehörde zur Verwaltung übertragen wurde. Atiycuy schützt und erhält dieses Stück – das Bienenprojekt wäre somit ein Gewinn für die Dorfbewohner und die Natur.
Mundi erklärt außerdem auch, dass Atiycuy neben der Entwicklung des Dorfes auch das Wohl der Konzession wichtig ist und auch, wie wir arbeiten. Z.B. auch, dass unsere Organisation niemanden unter Vertrag nehmen und zu etwas verpflichten will. So wie ich das bisher mitbekommen habe, ist das in Perú eine Seltenheit. Es gibt hier viele Organisationen, die sich als NGO ausgeben und anscheinend den Leuten helfen wollen, dafür aber im Gegenzug aber auch etwas von den Menschen fordern, denen sie „helfen“, sei es Geld oder irgendetwas anderes.
Zudem wissen die Dorfbewohner auch, dass Atiycuy die deutsche Seite, Chance e.V., hat und das macht sie umso misstrauischer. Hier in Perú und besonders auch in unserer Region haben die Menschen keine besonders guten Erfahrungen mit „Weißen“ gemacht. Die Weißen waren es, die in ihr Land eingefallen sind und es ihnen geraubt haben, die ihnen eine andere Sprache, Religion und Kultur aufgezwungen und ihnen dabei auch ihre eigene genommen haben. Nach der Unabhängigkeit Perús hörte das nicht auf, bis heute kaufen amerikanische und europäische Unternehmen Gold, Kupfer und Früchte zum Spottpreis aus Perú – und tragen somit unter Anderem dazu bei, dass hier in unserer Region Regenwald zerstört wird.
Die Angst vor den Gringos
Als Mundi über Atiycuy erzählt, meldet sich die Frau, die am Anfang schon laut mit Juan* diskutiert hat, zu Wort. Sie erklärt selbstbewusst und mit lauter Stimme, dass sie genau wissen will, was sie mit der Zusammenarbeit mit Atiycuy eingeht und für was sie unterschreibt. Sie sagt, dass Gringos Kleinbauern wie sie früher immer dazu gedrängt haben, etwas zu unterschreiben. Letztendlich war das Papier eine Erklärung, dass diese ihre Chacra (kleine Farm) in den Besitz des Gringos übertrugen. Bei all diesen schlechten Erfahrung mit Gringos erstaunt es mich überhaupt nicht, dass die Leute in diesen Dörfern sehr misstrauisch gegenüber Weißen sind. Dazu kommt noch, dass Mythen über sog. Pishtacos kursieren. Diese stammen aus der Zeit der spanischen Invasion Südamerikas. Laut diesen Erzählungen sind Pishtacos monsterartige Menschen, meist Weiße, die Einheimische töten, um am Ende deren Körperfett zu verkaufen oder zu essen. Eine sehr krasse Vorstellung…
Manche Leute in diesen Dörfern glauben das, weil sie oftmals nicht so gut aufgeklärt sind und nicht so gute Möglichkeiten haben, sich zu bilden und ihr Wissen zu erweitern. Dazu kommt noch, dass sie weit draußen in ihren Dörfern auch keinen oder nur sehr wenigen Gringos begegnen, keine persönlichen Erfahrungen mit diesen machen und ansonsten durch Erzählungen auch weitere negativen Geschichten über Gringos hören. So erhalten sich natürlich die Mythen und Vorurteile gegenüber Weißen aufrecht.
Das erinnert mich ein wenig an die Einstellung mancher Menschen in Deutschland gegenüber Flüchtlingen. Viele haben keine gute Meinung über diese, da sie viele schlechte Geschichten über sie gehört haben. Die mögen teilweise ja stimmen, nur wird dabei vergessen, dass es in jeder Menschengruppe unterschiedliche Menschen gibt, schlechte und gute. Dass nicht alle die schlechten Dinge tun, über die man so hört. Und meistens haben die Menschen, die die schlechteste Meinung über sie haben, keine oder kaum persönliche Erfahrungen mit ihnen gemacht. So etwas ist natürlich nicht gut und deshalb ist es mir umso wichtiger, den Menschen im Dorf mit großem Respekt, sehr viel Verständnis und Vorsicht zu begegnen, da ich gut verstehen kann, dass sie mit ihren Erfahrungen gegenüber Gringos und somit auch gegenüber mir skeptisch sind. Außerdem will ich ihnen zeigen, dass ich keine schlechten Absichten habe, sondern sie zusammen mit Atiycuy begleiten will. Auch über unsere Organisation gibt es Gerüchte, die weniger extrem und schlimm sind, als die Pishtaco Mythen, aber trotzdem unsere Zusammenarbeit mit dem Dorf erschweren, da sie natürlich Misstrauen schüren.
Mundi erklärt der Frau, dass Atiycuy keine Verträge mit den Menschen, denen wir helfen, abschließt. Das Einzige, wo sie ihren Namen eintragen und unterschreiben ist die Teilnehmerliste, die wir in jedem Taller rumgehen lassen. Sie dient alleine zur Dokumentation und zum Nachweis dafür, dass dieser Taller auch wirklich durchgeführt wurde. Mit seiner Erklärung und seiner Art, in der es ihm gelingt, die Sorgen der Menschen wahrzunehmen und auf diese einzugehen, schafft Mundi es auch, die Frau zu besänftigen. Es macht fast den Eindruck, als hätte er sie vom Gegenteil ihrer gerade geäußerten Meinung überzeugt.
Am Ende des Tallers äußert Mundi die Idee, dass eine Gruppe von Dorfbewohnern in einem Kombi für einen Tag nach Villa Rica ins Casa Atiycuy reisen könnte, um unsere Organisation und das Team vor Ort besser kennenzulernen. Eine Maßnahme, die den Dorfbewohnern die Möglichkeit geben soll, sich ein eigenes Bild von unserer Organisation zu machen und somit auch mehr Vertrauen zu schaffen.
Am Ende des Talleres mache ich wie immer ein Gruppenbild von allen Teilnehmern und Mundi. Mundi unterhält sich noch kurz mit Juan*. Ein junger Mann, der auch am Taller teilgenommen hat, fragt mich, ob seine Tochter mit mir ein Bild machen könnte. Ich finde das ein bisschen befremdlich, sage aber ja. Er holt seine Tochter und macht mit seinem Smartphone ein Foto von uns beiden.
Nach einem kurzen Snack in dem kleinen Laden verabschieden wir uns – immerhin müssen wir wieder knapp 4 Stunden im Auto nach Villa Rica fahren. Bei der Verabschiedung fragt mich die ältere Frau: „Gringa, wirst du wieder in unser Dorf kommen?“. Etwas verwundert aufgrund der Anrede, bejahe ich ihre Frage und sie scheint leicht erfreut darüber.
Später, als wir im Auto auf schmalen Straßen, die sich den Berg hinauf- und hinabschlängeln und durch Bäche und kleine Flüsse führen, wieder zurück fahren, erzähle ich Mundi von meinen Begegnungen mit den Dorfbewohnern nach dem Taller. Er scheint zufrieden zu sein und meint, dass diese ein gutes Zeichen sind. Die Menschen scheinen mich zu akzeptieren und langsam etwas Vertrauen zu fassen. Das freut mich wirklich sehr und ich bin sehr gespannt darauf, wie sich die Beziehung zwischen den Dorfbewohnern und mir im Laufe dieses Jahres weiter entwickeln wird.
*Name geändert
Wenn ihr mehr über meine Erfahrungen in Perú lesen wollt, dann schaut doch mal in meinem Blog vorbei!
https://yvonnewehle.wixsite.com/loslassen-wachsen
Eure Yvonne