Begegnungsprojekt

23. November 2022   |   Autorin: Lara

Drei Jahre später ist besser als nie

2019: Eine Jugendgruppe von Costa Ricanern und eine Jugendgruppe aus Deutschland freuen sich darauf, einander kennenzulernen. Zuerst sollen die Ticos nach Berlin kommen, danach die Deutschen nach Costa Rica. Als Teil von „weltwärts“ sollen sie einander begegnen und für insgesamt vier Wochen unter dem Aspekt „Your god, my god, a god?“ Erfahrungen teilen, neue Perspektiven erhalten und so voneinander lernen.

2020/2021: Es ist soweit und doch kommt alles anders. Die Pandemie bricht aus, das Projekt muss verschoben werden.

11.11.2022: Heute, drei Jahre später sitze ich hier, als Teil eines Projekts, das ich eigentlich nie hatte kennenlernen sollen. Und doch bin ich hier, am Ende der ersten zwei Wochen. Morgen werden die Ticos Deutschland bereits wieder verlassen und ich freue mich schon darauf, in einem Monat, ihr Leben kennenzulernen.

Das Begegnungsprojekt

Im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Juli 2016 die Förderlinie aufgelegt. Sie ermöglicht Jugendgruppen aus Deutschland und Ländern des Globalen Südens, gemeinsame Projekte im gegenseitigen Austausch durchzuführen. Im Fokus der Begegnungsprojekte steht die konkrete Auseinandersetzung mit einem der 17 Nachhaltigkeitsziele – der Sustainable Development Goals (SDGs). So können junge Menschen aktiv Verantwortung für die globale Zukunft übernehmen und diese nachhaltig mitgestalten.

Ankunft in Berlin

Mit ein wenig Verspätung sind die Ticos am Samstag in Berlin gelandet. Für die meisten war es der erste Flug, viele von ihnen sind das erste Mal außerhalb Mittelamerikas und für alle ist es die erste Reise nach Deutschland.
Wir haben sie vom Flughafen abgeholt und wenn wir sie nicht selbst bei uns aufgenommen haben, so brachten wir sie in Gastfamilien. Nach einem Einführungstag am Sonntag, während dem die Ticos klassische Touristen sein und das wichtigste von Berlin sehen konnten, begann am Montag dann bereits die Arbeit.

Die erste Woche – eine Begegnung in zweierlei Hinsicht

Das Begegnungsprojekt begann, als ein anderes Projekt, die Berliner Ferienschule bereits in ihre letzte Hälfte startete. So konnten die Costa Ricaner miterleben, wie die Arbeit von VISIONEERS tatsächlich aussieht und bei der Umsetzung dieser tatkräftig unterstützen. Beispielsweise kochten sie und nachdem in der ersten Woche das Essen teilweise dankend von den Schüler:innen abgelehnt wurde, lockte der tägliche würzige Geruch nun alle in die Küche und das Essen wurde mit Begeisterung gegessen. Darüber hinaus nahmen die Ticos an den Nachmittagsaktivitäten der Ferienschule teil und begegneten so den Jungs aus der Wohngruppe. Sprachbarrieren, die hier noch eine größere Hürde darstellten, da keine gemeinsame sprachliche Grundlage bestand, waren egal. Zusammen spielten sie Fußball oder Volleyball oder bestaunten Museumsausstellungen. Andere hingegen begleiteten „Skills On Wheels“ und bastelten und malten mit den Kindern zusammen. Es gibt Sprachen, die über das Mündliche hinausgehen. Herzlichkeit und Liebe, das ist das, was in dieser Woche gesprochen wurde.

Die zweite Woche – Lernen auf verschiedenen Ebenen

Die zweite Woche begann schon am Samstag für uns. In dieser zweiten Hälfte planten wir, über die deutsche Geschichte aufzuklären und verbanden das mit einem Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen. Schon da wurde deutlich, wie hoch das Interesse war, mit dem die Costa Ricaner nach Deutschland gereist waren. Sie stellten dem Guide Fragen und Esteban, ein Teilnehmer der Reise, übersetzte das Spanische ins Englische und umgekehrt, das Englische ins Spanische. Am Abend waren wir alle nachdenklich und fuhren im Schweigen zurück nach Berlin.
Die weitere Woche war ähnlich geprägt von Lachen und Freude, aber auch vom Austausch über kulturelle Unterschiede, ebenso wie vom Nachdenken und Überdenken der eigenen Möglichkeiten und Ziele.

Zunächst besuchten wir den Reichstag. Ich erklärte, was es mit dem Gebäude auf sich hat. Wir besuchten das Jüdische Museum und erhielten so im Nachgang einen theoretischen Einblick in die Religion, die vielen noch sehr fremd gewesen war und die sie in erster Linie nur aus Sachsenhausen kannten. Am Abend trafen wir Zahra, ein Mädchen, das selbst aus Afghanistan nach Deutschland flüchten musste und das seine Geschichte mit uns teilte. Es war ein langer Tag, der uns bis in die Nacht hineintrug.

Am Morgen darauf lernten wir in einem Workshop zum Thema „Flucht“ das kennen, was hinter so vielen Geschichten wie der von Zahra steht, die Ursachen von Flucht. Hier wurde eine Sensibilisierung deutlich, die seit Beginn der Reise stattgefunden hat. Die Begegnungen, die wir machen, die Gespräche, die wir führen durften, hatten uns bereits geprägt, aufmerksamer werden lassen für das, was um uns herum passiert. Besonders eindrucksvoll war dabei die Aufgabe, ein Konzept für ein Camp für Geflüchtete auszuarbeiten. Die dafür verantwortliche Gruppe erkannte, dass es auch darum geht, das Abstrakte, das man in den Nachrichten hört, in den Zeitungen liest, in dem Moment, in dem man dem Menschen tatsächlich begegnet, zu überdenken, zu erkennen, dass die Menschen, die in Zahlen zusammengefasst werden, real sind, Individuen mit Fähigkeiten. Das Ziel der Gruppe war es, das in den Vordergrund zu stellen „to give them their identity back“, um ihnen ihre Identität zurückzugeben.
Am letzten Tag schließlich ging es in einem weiteren Workshop („Globale Machtverhältnisse und Ungleichheiten“) mehr um die tatsächliche Handlung, die bei uns anfängt, sobald wir verstehen, was Privilegien sind, was uns voneinander unterscheidet und was uns letztlich alle miteinander verbindet.

Morgen fliegen die Ticos wieder zurück nach Costa Rica. „Muy triste“, sagt Leslie. Sie ist traurig darüber, wieder abreisen zu müssen. Aber es ist nicht das Ende.
Es ist erst der Anfang.