Über elf Monate in Costa Rica sind vergangen. Ich kann es noch gar nicht glauben. Mir bleiben nur noch drei Wochen und ein ganzes Jahr ist rum.
Ich höre die Uhr schon ticken…Tick Tack..Tick Tack..
Ich glaube, was dieses Jahr alles mit mir gemacht hat, werde ich erst begreifen, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin. Auch wenn ich versuche im Hier und Jetzt zu sein, bin ich in Gedanken schon oft in Deutschland. Ich glaube, es ist also ein guter Zeitpunkt zurückzublicken, Erlebnisse und Eindrücke Revue passieren zu lassen, zu reflektieren und sich zu fragen, ob Erwartungen erfüllt, übertroffen oder enttäuscht wurden.
Vor meiner Abreise habe ich es mir zum Ziel gemacht, in Costa Rica ein zweites zu Hause zu finden. Einen Ort, an dem mir die Türen offenstehen und an den ich immer wieder zurückkehren kann. Etwas, das ich in diesem Jahr geschafft habe und etwas, das den Abschied besonders schwierig macht.
Ich muss sagen, dass die letzten Tage und Wochen ein Wechselbad der Gefühle für mich waren:
Einerseits freue ich mich so sehr darauf meine Familie und Freunde wieder in die Arme schließen zu können, dass es Momente gibt, in denen ich vor Vorfreude explodieren könnte. Endlich wieder Currywurst Pommes im Bochumer Bermudadreieck essen oder einen der langen Sommerabende bei einem kühlen frisch gezapften Bierchen am See genießen.
Andererseits liegt auch immer ein bisschen Traurigkeit in der Luft. Der Abschied von den anderen Freiwilligen, den Mentoren und eigentlich allen, die einen das Jahr über in Costa Rica begleitet haben wird nicht leicht.
Sich verabschieden von Reis und Bohnen, Kochbananen, tropischen Früchten und den daraus gemachten Batidos… Adiós Tropen, Adiós tropische Regenfälle und Hitze, Adiós Strand, Adiós Pipa Fría, Adiós Sodas, Adios Reggeaton, Adiós Playa und noch viele Dinge mehr, von denen man sich verabschieden muss.
Der Abschied von Hogar de Vida (dem zu Hause des Lebens) wird wohl der schwierigste – Der Abschied von 35 Kindern und Babies, die man ins Herz geschlossen hat und für die man fast ein Jahr lang Mamaersatz gespielt hat – Der Abschied von Freunden und Arbeitskolleginnen.
Ich habe in diesem besonderen Ort mit all seinen wunderbaren Menschen ein zweites Zuhause gefunden.
Besonders hart wird der Abschied von den Kindern. Viele der Kinder werde ich wohl nicht wiedersehen. Diese Vorstellung versetzt mir einen Stich ins Herz, aber andererseits freue ich mich auch, da das wohl bedeutet, dass sie eine Herzensfamilie gefunden haben.
Aber so ist das wohl. Ich glaube, dass ich traurig bin, ist auch ein gutes Zeichen und bedeutet, dass dieses Jahr ein voller Erfolg war. Etwas, das uns zum einen zwar schwerfällt, aber zum anderen auch etwas Positives beinhaltet.
Mein soziales Engagement hier, hat mich jeden Tag glücklich gemacht. Es gab Tage, da bin ich schlecht gelaunt zur Arbeit gegangen, aber es gab keinen Tag, an dem ich schlecht gelaunt wieder nach Hause gekommen bin. Ich liebe Costa Rica, seien es die paradiesische Landschaft, die traumhaften Sonnenuntergänge, der Sound der Geckos, wenn es dunkel wird.
Mich fasziniert es, in einer anderen Kultur zu leben. Ich würde mich jederzeit noch einmal in das Flugzeug setzen. Ich habe hier so unfassbar viel gelernt. Dieses Jahr hat mich geprägt und meine Perspektiven verändert, hat mich gelehrt meine Privilegien in Deutschland schätzen zu lernen und mir den hohen Wert einer intakten, liebevollen Familie jeden Tag vor Augen geführt.
Für die letzten Wochen habe ich mir vorgenommen, jeden einzelnen Moment mit den Kindern zu genießen und so viel wie es geht aufzusaugen. Ich möchte Erinnerungen schaffen, an die ich in Deutschland immer wieder gerne zurückdenken kann. Und eins kann ich auch mit absoluter Sicherheit sagen: Costa Rica- nos vemos pronto.
Ganz viel Liebe,
Clarissa M. Rosenbaum
Atenas, 15/07/19
Ich muss ehrlich gestehen, gewusst habe ich das vor Beginn meines Freiwilligendienstes auch nicht. In Deutschland bin ich vorher nie mit dieser „Seite“ des Sozialsystems in Kontakt gekommen und so habe ich das alles auf mich zu kommen lassen.
Von den Menschen vor Ort hörte ich vor Arbeitsbeginn Kommentare wie „Wenn ich dort aushelfe komme ich manchmal weinend nach Hause“ oder „Du darfst auf keinen Fall eine enge Beziehung zu den Kindern aufbauen“. Ich muss gestehen, dass ich an meinen ersten Arbeitstagen dementsprechend ziemliche Angst hatte – denn Arbeit mit Kindern ohne eine Beziehung aufzubauen?! Für mich undenkbar…
Mittlerweile arbeite ich schon etwas mehr als einen Monat in Hogar de Vida und jetzt stellt sich natürlich die Frage: Hatten die Einheimischen mit ihren Ankündigungen recht?Teilweise…Nach und nach bekomme ich immer mehr Details der teilweise schrecklichen Schicksale der Kinder mit. Es zerreißt einen innerlich wirklich, wenn wieder ein 10 Tage altes Baby als jüngster Bewohner des Heims hinzukommt oder wenn ein drei Jahre altes Kind sich so innig um seinen einjährigen Bruder kümmert, sodass er eigentlich die Elternrolle übernimmt. Der größte Traum eines jeden Kindes hier ist eine Familie und vor allem liebende Eltern zu haben.Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich deswegen noch keine Tränen vergossen hätte. Einerseits waren und sind es Tränen der Traurigkeit, weil einfach jedes dieser Kinder es verdient hätte mit liebenden Eltern aufzuwachsen. Weiterhin sind es aber auch Freudentränen oder Tränen der Bewunderung für die Kinder, die trotz ihrer Erlebnisse den Glauben an das Gute in Menschen und die Hoffnung auf Eltern nicht aufgeben haben. Andererseits sind es aber auch Tränen der Dankbarkeit für meine eigene glückliche und sorglose Kindheit, sowie meine liebende Familie.
Wie ich es schon vermutet hatte, wäre es für mich persönlich unmöglich dort zu arbeiten, ohne irgendeine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Ich war unglaublich froh als ich mitbekommen habe, dass es in meiner Arbeitsstelle selbstverständlich ist, den Kindern zu zeigen, dass es in Form der Mitarbeiter Menschen gibt, die sie lieben und für sie da sind!Allerdings wird hier auch deutlich kommuniziert, dass Hogar de Vida nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu ihrer „Herzensfamilie“ ist. Umso mehr freut man sich deshalb als Mitarbeiter, wenn ein Kind solch eine Familie gefunden hat. Es bleibt natürlich trotzdem ein Platz der Leere, wenn ein Kind dann verabschiedet wird und nicht mehr da ist…Nichtsdestotrotz ist das Lachen und der freudige Ausdruck in den Augen der Kinder jeden Tag wieder ein Zeichen dafür, dass sie sich in unserer Obhut geborgen fühlen und wir unseren Job gut machen. Und an dieser Stelle darf gesagt werden, – wenn man auch besonders auf die kleinen Momente achtet, eine Umarmung, ein Lächeln… – dass es eindeutig mehr positive als negative Momente gibt.
Die Arbeit in einem Kinderheim ist hart und teilweise auch emotional belastend.Man soll die Rolle und die Aufgaben der Mutter übernehmen, darf aber nicht die Mama ersetzen.
Trotzdem ist die Arbeit hier unglaublich erfüllend, weil man dazu beitragen darf, den Kindern eine möglichst sorglose Kindheit zu schenken. Erste Worte, erste Schritte, Geburtstage etc. sind Momente, an denen ich teilhaben darf und ich bin mir sicher, dass ich daran noch häufig zurückdenken werde.