Jeder weiß, wie wichtig es heutzutage ist, ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Noch wichtiger ist das für junge Menschen mit Fluchthintergrund: Sprachbarrieren, bürokratische Hürden im Zusammenhang mit dem Bewerbungsprozess, strukturelle Diskriminierungen, Belastungen, die sich durch die Fluchtgeschichte ergeben und ein anderer Ausbildungsprozess im Heimatland als in Deutschland können den Einstieg ins Berufsleben erschweren. Ein Berufsalltag mit festen Strukturen und Kontakt zu deutschen Muttersprachler*innen ist gerade für diese jungen Menschen wichtig. So kann sich ein Gefühl des „angekommen seins“ entwickeln, das über die formelle „Bleibeperspektive“ in Form der Arbeitserlaubnis hinausgeht.
Um die Jugendlichen, die wir aus unserer Projektarbeit mit der Willkommensklasse der Sophie-Scholl-Schule und dem IB-Wohnheim Marienfelde kennen, und die mehrheitlich die 9. bis 12. Klasse besuchen, zu unterstützen, haben wir letztes Jahr im April das Projekt Corporate Volunteering Days ins Leben gerufen, gefördert von der Pfefferwerk Stiftung und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.
Corporate Volunteering, Coaching und Corona
Geplant waren, neben Bewerbungstrainings, Einzelberatung und der Unterstützung von Jugendlichen durch Mentor*innen aus unserem Netzwerk zu Berliner Unternehmen, auch Workshopformate in Gruppen, Berufsorientierungstage mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Technik oder Naturwissenschaft und Kooperationen mit Senioreneinrichtungen; ja und dann kam Corona.
Im März wurde schnell deutlich: Die Herausforderung der nächsten Monate wird sein, vertrauensvolle Beziehungen im digitalen Raum aufzubauen. Unser Jugendtreff war vom 16. März bis Mitte Mai 2020 geschlossen und die meisten Mitarbeiter*innen von unseren Partnerunternehmen waren in Kurzarbeit oder arbeiteten ohne Kinderbetreuung im Home Office.
Bei der Beschäftigung mit der Frage, wie wir auf digitalem Wege Kontakt zu Jugendlichen und Mitarbeiter*innen aufbauen können, nutzten wir auch vermehrt die Plattform fürs Freiwilligenmanagement vostel. Hierüber boten wir Mitarbeiter*innen von Unternehmen die Möglichkeit, sich über socialdays an einem Tag an der Seite unserer Jugendlichen zu engagieren und die Arbeit mit strukturell benachteiligten und jungen Menschen mit Fluchthintergrund kennenzulernen. So wurde beispielsweise zalando auf uns aufmerksam. Auch konnten wir einen Unternehmensberater von Roland Berger als Mentor gewinnen und den Fotograf eines Unternehmens, der unsere Berliner Ferienschule im Rahmen eines Probono-Engagements begleitete.
Nachhilfe, Homeschooling und Weiterbildungsangebote
Nach einer kurzen Umstellungsphase haben wir die Beratungstermine dann per Zoom oder einzeln bei uns im Jugendtreff durchgeführt. Hier wurde für Bewerbungen geübt, bei der Wohnungssuche geholfen und Anträge zusammen ausgefüllt.
Bei der Kooperation mit IB ging es vornehmlich um die Gestaltung das Freizeitprogramms und Homeschooling für die durch IB betreuten geflüchteten Kinder und Jugendliche in Berlin. Gegenwärtig betreut der IB circa 700 Menschen aus mehr als 10 Ländern im Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber*innen in der Marienfelder Allee (Tempelhof-Schöneberg). Etwa die Hälfte davon sind Kinder bis 18 Jahre. VISIONEERS e.V. hat ihnen 2020 kontinuierlich die Möglichkeit gegeben an den verschiedensten on- und offline-Aktivitäten wie Deutschunterricht, Nachhilfe, Berliner Ferienschulen, Sportaktivitäten und verschiedenen Workshops teilzunehmen.
Die Beziehungsarbeit hat Corona insofern beeinflusst, als dass Gruppentreffen natürlich nur noch in einem kleineren Rahmen stattfinden konnten. Neben One-on-One Treffen war unser Jugendleiter Giresse Dako dieses Jahr auch besonders bemüht, Jugendliche untereinander zu verknüpfen.
„Oft ermutige ich beispielsweise die Jugendlichen dazu, die selbstbewusst sind und generell gefestigt sind in ihrem Leben, Verantwortung für diejenigen zu übernehmen, die es schwerer haben. Zum Beispiel, indem sie denjenigen, die noch nicht so ein gutes Deutschlevel haben, Nachhilfe geben. Oft ergeben sich dann auf diesem Weg auch Freundschaften.“
Hilfe zur Selbsthilfe
Bundesfreiwillige Anna berichtet von den Beratungsgesprächen bei uns im Jugendtreff: Viele Jugendliche haben bereits gute Deutschkenntnisse, aber besitzen dennoch Hemmungen, mit Behörden zu kommunizieren. Da ist es dann einfach ein gutes Gefühl, zu wissen, dass da jemand mit einem im Raum sitzt, der bestätigt, dass man den Brief vom Jobcenter richtig verstanden hat und der einspringen kann, falls man den Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung nicht gut verstehen kann. Wir ermutigen die Jugendlichen, auch selbst Anrufe zu tätigen und Schreiben aufzusetzen. Unsere Rolle ist hier eher zu unterstützen, statt Dinge abzunehmen. So habe ich gestern noch die Rückmeldung von Maha, einer 19 jährigen Irakerin, bekommen, dass sie sich erfolgreich an einer Berufsfachschule für Sozialassistenz beworben hat.
Corporate Volunteering Tag
Am Ende des Jahres konnten wir dann doch wieder eine Gruppenaktivität durchführen. Beim Corporate Volunteering Tag halfen Mitarbeiter*innen der Daimler AG fünf teilnehmenden Jugendlichen dabei, Bewerbungsgespräche zu üben. Die Teilnehmenden sind bestärkt und mit einem hohen Kompetenzzuwachs nach Hause gegangen.
2021 mit neuem Elan
2021 wollen wir also noch mehr daran arbeiten, unsere Jugendlichen mit unserem Netzwerk von Berliner Unternehmen zu verknüpfen, Ausbildungs- und Praktikaplätze zu vermitteln und neue Partner aus der Arbeitswelt dazuzugewinnen.
Wir gehen zuversichtlich in die Zukunft und hoffen, dass wir mit gelockerten Maßnahmen dank der Impfung im Jahr 2021 wieder in größeren Gruppen arbeiten können, sind aber generell auch bei weiteren Restriktionen gut aufgestellt.