„Costa Rica hat 1948 seine Armee abgeschafft und konnte somit mehr Mittel in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit investieren. So ist Costa Rica ein sicheres Land mit guter Infrastruktur und einer sagenhaften Natur geworden. Nicht umsonst wird es die „Schweiz Mittelamerikas“ genannt.“ So beschreiben manche Websiten das Land, in dem ich seit drei Monaten lebe und meinen Freiwilligendienst für Weltwärts verrichte. Gibt man „Costa Rica“ als Suchbegriff im Internet ein, findet man fast ausschließlich Beiträge, die sich positiv über das Land aussprechen, es loben und in gewisser Weise glorifizieren. Wäre Costa Rica eine Person, könnte man den Eindruck bekommen, das ganze Internet wolle sich bei ihr einschleimen. Hat es diesen Ruf verdient? Entspricht jedes Lob der Wahrheit? Werden all diese Beiträge von Touristen geschrieben? Von Journalisten? Oder von Freiwilligen wie mir? Es stimmt, dass Costa Rica keine Armee mehr besitzt. Aber bedeutet das, dass deshalb mehr Mittel in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit gesteckt werden? Wären es genug Mittel, würden hier nicht so viele Freiwillige in Kinderheimen oder ähnlichen Projekten helfen können, oder? Was die Bildung betrifft, so sprechen hier die wenigsten Menschen Englisch, in ihren Häusern befinden sich fast keine Bücher und Einheimische erzählen mir, dass hier nur die Privatschulen Kinder ausreichend ausbilden.
Mit dem Thema Gesundheit bin ich noch nicht näher in Berührung gekommen, aber dass sich Costa-Ricaner*innen in selbstständigen Berufen oftmals keine Krankenversicherung leisten können oder starke Medikamente in Apotheken ohne Rezept verkauft werden, lässt mich hinterfragen, wie viele der Mittel in die Gesundheit investiert werden. Auch dass die Lebensmittelpreise hier so hoch sind, ist kein Beweis dafür, dass Menschen hier viel Geld verdienen. Viele Ticos ernähren sich daher dreimal am Tag von dem vergleichsweise günstigen „Gallo Pinto“ (Reis mit Bohnen) und können in ihrem ganzen Leben weniger Orte in Costa Rica sehen als Touristen in einem Monat. Zur „guten“ Infrastruktur lassen sich die fehlenden Buspläne oder Haltestellen, die dafür aber vorhandenen Schlaglöcher in den Straßen anführen oder meine gestrige Bekanntschaft mit einem Tico (Costa-Ricaner), der mich darüber aufgeklärt hat, dass man hier zwischen 10
Uhr abends und 5 Uhr morgens rote Ampeln höchstens wie ein Stopp-Schild behandelt. Ist Costa Rica dafür aber sicher? Costa Rica ist am sichersten für dich, wenn du ein Mann bist. Männer können hier nachts unbesorgt auf die Straße gehen. Männer können tagsüber herumlaufen, ohne gecatcalled zu werden. Männliche Uberfahrer verstecken unter ihrem Sitz kein Pfefferspray. Aber auch Männer meiden „red zones“ in der Hauptstadt San José oder Limón (an der Karibik) und würden nicht unvorsichtig in der Öffentlichkeit ihr Handy aus der Tasche holen.
Trotz all dieser Kritik, die den Einheimischen wohl bekannt ist, wird man hier wahrscheinlich auf keinen Tico treffen, der nicht stolz auf sein Land ist. Oder von sich behaupten würde, nicht glücklich sein. Obwohl die „Pura Vida“-Einstellung in kleineren Dörfern stärker vertreten ist als in San José, stellen Ticos auch hier fest, dass sie im Grunde glücklicher sind als die Menschen in Europa. Und ich bin es auch. Meine Arbeit im Projekt „Hogar C.U.N.A“ prägt und erfüllt mich, während ich den Tías (Mitarbeiterinnen) dort dabei helfe, 19 Heimkindern großzuziehen. Obwohl ich auch aufräume und putze, verbringe ich den Großteil meines Arbeitstages damit, Kindern Wochentage und Zahlen sowie Manieren beizubringen, sie zu loben, Streitereien zu schlichten, Zähne zu putzen und beim Umziehen zu helfen. Auch wenn die Arbeit im Projekt stressig und erschöpfend sein kann, werde ich jeden Morgen durch Kinder, die meinen Namen schreien und mir freudestrahlend entgegenkommen, bestätigt.
Ob Costa Rica wirklich die „Schweiz Mittelamerikas“ ist, kann ich zwar nicht richtig beurteilen, weil ich in den anderen mittelamerikanischen Ländern nicht gelebt habe, aber ich kann sagen, dass das Leben hier keine Utopie ist. Viele Menschen -so wie das Land im Allgemeinen- haben nicht genug Geld und man kann hier nicht mit Sicherheit von Sicherheit sprechen. Auf den Straßen leben Obdachlose mit ihren Kindern. In vielen Heimen leben
Kinder. In meinem Projekt habe ich das Gefühl gebraucht zu werden und helfen zu können.
Vielleicht sogar zu müssen.
Aktuell werden staatlich finanzierte Freiwilligendienste zunehmend kritisiert und es wird gefordert, Gelder für zukünftige FSJ‘s zu kürzen. Aber ohne staatliche Finanzierung haben nicht alle Menschen ähnliche Chancen auf einen sprachlichen Austausch, darauf in eine andere Kultur integriert zu werden und in den verschiedenen Einrichtungen von weltwärts sinnvolle Arbeit zu verrichten. Letztendlich prägt das Helfen im Projekt deshalb sowohl das Projekt als auch die Freiwilligen.