Kindergeschrei

27. Juli 2024   |   Lonka

Hola, ich bin Lonka und möchte dir einen Einblick in meine Gefühlswelt geben…

Erinnerungen und Nostalgie

Es ist still in meinem Kopf. Meine Gedanken wurden so oft von Kindergeschrei verdrängt. Wenn ich jetzt versuche, daran zu denken, verfalle ich in Nostalgie. Wenn ich mich konzentriere, kann ich die einzelnen Schreie noch immer voneinander unterscheiden. In meinen Träumen erscheinen ihre Gesichter und sie lachen. Ich wache auf und will überprüfen, ob sie schon gewachsen sind. Mit jedem Millimeter, den Samuel in die Höhe schießt, verliert er einen Millimeter Erinnerungen an mich. Wie viele Millimeter kann er noch verlieren, bis ich nie existiert habe?

Abschied und Vergessen

Ich habe den Kindern erzählt, dass ich gehen würde. Dass ich sie trotzdem immer lieb hätte und ihnen eine tolle Zukunft wünsche. An wie vielen Morgen wird Elisabeth noch nach mir fragen, bis sie begreift, dass ich nicht wiederkommen werde? Wird sie sich daran erinnern, dass ich da war oder bin ich nur ein weiterer Mensch, der von einem Tag auf den anderen aus ihrem Leben verschwand? Ich habe mir ihren vollen Namen gemerkt. Werde ich ihn in zehn Jahren googeln können und Ergebnisse über eine Person finden, die mal das schlauste vierjährige Mädchen in einem Kinderheim in Costa Rica war?

Arbeit und Prägen

Ich weiß nicht, ob mich die Arbeit mehr geprägt hat oder ich sie. Andere Menschen hätten sie genauso gut verrichten können. Windeln wechseln, Schulrucksäcke packen oder Kinder umziehen erfordert kein individuelles Talent. Aber ich weiß, dass sie mich mein Leben lang begleiten wird. Ich werde mich zurückerinnern, wenn ich später mal die Schulrucksäcke meiner eigenen Kinder packen werde. Ich werde stolz auf mich sein, wenn ich ähnliche Lernspiele mit ihnen spielen werde, die ich mir schon mit 19 Jahren ausgedacht habe. Und ich werde jedes Augenrollen oder Ohrenzuhalten von damals bereuen, wenn meine eigenen Kinder schreien. Aber Kindergeschrei mit Kinderheim-Kindern ist etwas anderes.

Herausforderungen und Wut

Erinnerungen greifen nach meinen Gedanken und verdrängen die allgemein verbreitete Tendenz, sich nur an das Schöne erinnern zu wollen: Kindergeschrei kann man nicht entkommen. Auch nicht mit Stille als Antwort. Der impulsiven Wut eines Kindes kann man nicht entkommen. Erst recht nicht, wenn es keinen sichtbaren Grund dafür gibt. Sie findet einen Weg zu deiner eigenen. Sie verbinden sich, wenn sie erkennen, dass Synchronität sie bestätigen und festigen wird. Später am Tag hängt Emmanuel als Spider-Man vom Klettergerüst. Mit dem Kostüm streift Ema sein Gedächtnis ab und klettert auf meinen Schoß. Zu seinem ersten zweistelligen Geburtstag wird er das Geschenk bekommen, Nachtragen empfinden zu können. Die Natur hat ihn noch nicht mit diesem Gefühl ausgestattet. Ich streiche über seine Schultern und kitzle ihn, bis sein Lachen die Wut eines anderen Kindes übertönt, auch wenn es meinen Stolz herausfordert. Kinderheim-Kindern kann man nichts übel nehmen, ohne sich deshalb selber für einen schlechten Menschen zu halten.

Schöne Erinnerungen

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr werde ich die unschönen Erinnerungen vergessen. Das ist natürlich. Konstruktiv. Gesund. Und es gibt genug schöne Erinnerungen, aus denen ich mein Leben lang Geschichten basteln werde. Genug Gefühle, die ich vorher nie empfunden habe. Genug neues Wissen für ein Jahr. Ich musste sie lieben und seit der letzten Umarmung tue ich es bedingungslos. In meinem Kopf bleibt ihre Zeit für mich stehen. Sie werden für immer Kinder bleiben.