Meine Entscheidung in Griechenland für zwei Monate zu leben, fällte ich in weniger als zwei Wochen. Doch dieser recht spontane und für mich abenteuerliche Beschluss, resultierte in eine der lehrreichsten und wertvollsten Erfahrung, die mir bisher mit meinen jungen 19 Jahren widerfuhr.
Meine Ankunft im November in dem kleinen Dorf Polykastro im Norden Griechenlands war etwas ernüchternd. Meine Erwartungen den grauen Winter Deutschlands in weißen, luftigen Kleidern am glasklaren Meer zu überbrücken, stellte sich als naives und unsinniges Klischee heraus. Es schien mir, als dass ich an dem wohl kältesten und langweiligsten Ort in ganz Griechenland gelandet sein musste. Doch der Schein trügt, schnell hatte ich mich eingewöhnt und mich in das Dorf mit den unüblich vielen Apotheken, verführerischen Bäckereien und den Blick auf die Berge Nord Mazedoniens verliebt.
Ein Ausblick auf Polykastro
Mein wahrer Aufenthaltsgrund war jedoch nicht, mich durch die verschiedensten Backwaren durchzukosten, sondern einen Freiwilligendienst für die NGO „Open Cultural Center“ zu absolvieren, die sich für die Integration und Unterstützungen von Geflüchteten einsetzt. Das Team, das aus ungefähr 20 Mitgliedern aus aller Welt (unter anderem Tschechien, Kurdistan, Katalonien, Irak & Portugal) besteht, hat mich sofort aufgenommen und willkommen fühlen lassen. Ich schätzte meine Zeit und das Miteinander hier sogar so sehr wert, dass ich es mir nicht hab nehmen lassen, aus den ursprünglichen zwei Monaten, vier zu machen.
Unser Team
Mein Alltag besteht darin in der „Community Cafeteria“ auszuhelfen, ein Ort an dem beispielsweise Menschen aus dem nahegelegenem Flüchtlingscamp zusammenkommen können, um sich in einer sicheren Atmosphäre zu entspannen und auszutauschen. Außerdem verleihen wir Fahrräder, um die Mobilität zu erleichtern und bieten weitere Freizeit- und Sportaktivitäten an. Zeitweise habe ich mit einer anderen Freiwilligen einen Computerkurs geleitet, aber jetzt bin ich für Englisch- und neuerdings auch Deutschunterricht zuständig.
Hier bekomme ich zu spüren wie vorurteilsbelastet und ignorant einige Europäer*innen sind, und wie tief das Denken in Stereotypen und Rassismus verankert ist, auch bei mir. Viele Teile des Systems scheinen darauf ausgelegt zu sein, den oft unfreiwilligen Aufenthalt für Geflüchtete so schwerfällig und nervenzehrend wie möglich zu gestalten.
Das Flüchtlingscamp Nea Kavala von außen
Für mich sind es jetzt nicht nur irgendwelche Menschen, sondern Freund*innen und Kolleg*innen, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen und sich völlig neuen Traditionen, Bräuchen und Mentalitäten anzupassen, die unter der umständlichen Bürokratie leiden, ihre Familie seit Jahren nicht gesehen haben und in so vielen Bereichen benachteiligt werden. Ich habe gelernt, wie unfassbar wichtig es ist die Perspektive zu wechseln und über die Schicksale und Erlebnisse der Menschen zu erfahren, um ein besseres Verständnis für deren Probleme und Situation zu bekommen, aber auch um Vorurteile und rassistische Narrative zu erkennen und brechen.
Abschließend möchte ich jedem empfehlen Möglichkeiten wie diese wahrzunehmen, sich weiterzubilden und auszuhelfen wo es geht. Denn damit hilfst du nicht nur anderen, sondern auch dir, und so unangenehm wie es im ersten Moment vielleicht klingen mag aus der eigenen „Bubble“ auszubrechen, umso schöner und wertvoller ist es dann die Schönheit und Diversität anderer Kulturen kennenzulernen und deine Komfort-Zone zu erweitern. Ich werde aus meinen vier Monaten hier weitaus mehr mitnehmen als nur ein paar Souvenirs, und wünsche allen, mindestens einmal eine ähnliche Erfahrung machen zu können.
Eine Straßenkatze und meine Unterkunft im Hintergrund & Unser Abendessen
an Weihnachten zu dem jede*r mit einem Gericht aus dessen Heimat beigetragen hat
mehr Infos zum ESK-Freiwilligendienst: https://www.visioneers.berlin/esk