“Wenn man schätzt, was man hat, merkt man, dass man viele Schätze hat.“
-Ernst Ferstl
Für mich begann das bewusste Wertschätzen, vor allem auch von kleinen Dingen, hier in Costa Rica. Denn erst hier habe ich realisiert, was mir auf einmal fehlt, beispielsweise meine Familie. Wie selbstverständlich ist es meistens gewesen, nach Hause zu kommen und meine Familie vorzufinden. Hier komme ich nach Hause und finde nicht mehr meine Familie, sondern meine drei Mitbewohnerinnen vor.
Wieso beginnen wir also erst Dinge wertzuschätzen, wenn wir sie nicht mehr haben oder sie nicht mehr greifbar sind?
Umgekehrt weiß ich schon jetzt, dass ich Manches von dem, was ich hier lieben lerne, nach diesem Jahr und wieder zurück in Deutschland vermissen werde.
Und damit ich nicht erst dann realisiere, was mir alles fehlt und was ich mehr wertschätzen hätte sollen, beginne ich gleich hier bewusst damit. Ich nehme mir vor, pro Tag nur eine Sache oder eine Person auszusuchen, für die ich dankbar bin. Ich bin mir sicher, dass es mir damit viel besser gelingen könnte, im Moment zu leben und den Augenblick zu genießen.
Eine der Sachen, die ich sehr wertschätze, ist die Großzügigkeit und Offenheit der Costa-Ricaner, mit der sie mir täglich begegnen. Es gibt bereits unzählige Beispiele, bei denen mein Herz aufgegangen ist, einige werde ich nennen: kürzlich haben Milena, meine Projektpartnerin und ich nach einem langen Arbeitstag beschlossen, bei der Bäckerei in unserer Straße eine Kleinigkeit zu kaufen. Als wir die Bäckerin nach ihrem Lieblingsgebäck gefragt haben, deutete sie auf Cookies, die wie Brownies aussahen. Wir entschieden uns für diese, wollten jedoch erstmal nur eins kaufen, um es probieren zu können. Doch sie gab uns noch ein zweites mit in die Tüte, mit dem Satz: Willkommen in der Nachbarschaft! Ein weiteres Beispiel ist mir passiert, als ich auf der Heimfahrt von Jaco war und mit Milena im Bus nach San Jose stand. Ja richtig, wir mussten stehen, da wir vergessen hatten, uns ein Ticket zu kaufen und einen Sitzplatz zu reservieren. Doch schon bald kam ein Mann in den Bus und hat gesehen, dass wir uns gerne hinsetzen würden, woraufhin er seinen Platz aufgegeben hat, sich neben eine andere Reisende gesetzt und uns seinen Doppelplatz überlassen hat.
Ich schätze auch meine Nachbarn wahnsinnig wert, da sie für mich wie eine zweite Familie geworden sind! Die Familie besteht aus den Eltern und einer 16-jährigen Tochter, namens Maria. Wir sehen sie nahezu täglich und sie sind uns bei allem eine Hilfe! So kann es passieren, dass wir auf der Suche nach etwas sind und es nur am Rande erwähnen und Marcia, die Mutter uns am nächsten Morgen eine Menge Screenshots schickt von guten Angeboten, die sie herausgesucht hat. Sie sind für mich also ein großer Bestandteil meines Lebens und ich bin unglaublich dankbar dafür, dass wir durch sie die costa-ricanische Kultur hautnah miterleben dürfen.
Zudem bin ich dankbar für die Arbeit in meinem Projekt. Ich fühle mich täglich wirklich gebraucht, sowohl für die organisatorischen Aufgaben als auch für die Arbeit mit den Kindern. Dies erfüllt mich deshalb so sehr, da ich ja auch tatsächlich erfahren möchte, wie der Alltag in einer Kindereinrichtung, wie El Refugio sein kann. Den ganzen Tag nur Löcher in Luft starren und mich ungebraucht fühlen zu müssen, wäre schrecklich für mich. Ich wertschätze, dass ich bei dieser Arbeit lernen muss, viel Geduld zu haben. Und zwar bei allem. Damit meine ich beispielsweise die Ruhe zu bewahren, wenn ein Kind mal keine Lust hat am Englisch-Unterricht teilzunehmen und stattdessen lieber mit Knete spielen möchte. Oder man nach einer zweistündigen „Entrega de comida” immer noch auf einige Familien warten muss, die dann in letzter Minute zu sechst reinschneien, um sich ihr Essen abzuholen.
Ich lerne durch die Arbeit, wie ich mit Kindern umgehen kann, die sich anfangs teilweise nicht einmal trauen, die Hand ihrer Mama loszulassen, aber dann beim gemeinsamen Spielen schnell aufblühen und uns Vertrauen schenken.
Ohnehin sind die Kinder im Projekt ein großer Schatz, für den ich dankbar bin. Sie zaubern mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht. Zum Beispiel indem sie freudestrahlend auf mich zugelaufen kommen, meinen Namen ganz laut rufen und mich dann umarmen. Diese Zuneigung bedeutet mir deshalb so viel, weil ich dadurch die Bestätigung bekomme, mich richtig gegenüber ihnen zu verhalten und eine Freude machen zu können.
Ebenfalls bin ich für die Köchinnen in meinem Projekt sehr dankbar, die uns jeden Dienstag und Freitag ein typisch costa-ricanisches Essen zaubern und dafür sorgen, dass wir auch wirklich satt werden! Sie zeigen jedes Mal so viel Interesse an unserem Leben und freuen sich riesig eines Tages meine Familie kennenzulernen, für die sie auch kochen und zu sich einladen wollen.
Dankbar bin ich auch, dass ich einen neuen Lebensstil erleben darf. Damit meine ich beispielsweise den Weg in die Arbeit, bei dem wir jeden Morgen ca. 20 Minuten zur Bushaltestelle laufen müssen und dann nochmal ca. 25 Minuten mit dem Bus zu unserer Arbeit fahren. Zuhause hätte mich vermutlich das Mama-Taxi bemüht, doch diesen Luxus kann ich hier nicht mehr genießen. Aber das ist auch in Ordnung, denn nur so haben wir jetzt einen neuen Freund, nämlich unseren Busfahrer, der uns morgens sowie nachmittags freundlich begrüßt und sogar auf uns wartet, wenn wir mal etwas verspätet zur Bushaltestelle rennen. Auch war es für mich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, mir ein Zimmer zu teilen, da das bedeutet hat, dass ich jetzt weniger Privatsphäre habe. Jedoch gewöhne ich mich daran immer mehr und finde, dass es auch gut so ist, dass ich mal aus meiner Komfortzone treten muss.
Eine weitere Sache, für die ich extrem dankbar bin, ist der Blick von unserem Haus sowohl auf eine Bergkette, als auch auf die Stadt San José, die vor allem bei Nacht, wie ein wunderschönes Lichtermeer aussieht. Jedes Mal, wenn ich nach Sonnenuntergang nach draußen gehe, muss ich staunen und weiß bereits jetzt, wie sehr ich diese Sicht vermissen werde.
Letztlich schätze ich das Wetter hier sehr wert! Anfangs wurde mir von vielen gesagt, dass es in Heredia kalt sei, woraufhin ich natürlich einige dicke Pullis und Jacken mitgenommen habe. Doch davon habe ich noch keine einzige benötigt! Jeden Morgen laufe ich mit T-Shirt aus dem Haus und genieße die Sonnenstrahlen, herrlich! Genauso habe ich es mir gewünscht: Eine angenehme Wärme, bei der man keine Jacke braucht, aber auch nicht auf der Suche nach Schatten ist. Noch viel mehr schätze ich dieses Wetter wert, wenn mir meine Familie oder Freunde aus Deutschland Bilder schicken, wie sie mit langen Mänteln aus dem Haus gehen müssen.
Wie bereits aufgezählt, gibt es so viele Dinge und Personen, für dich ich dankbar bin und die ich liebe und respektiere. Würde ich noch mehr Sachen aufgreifen und noch mehr ins Detail gehen, würde dieser Artikel zu lang werden.
Für dieses Mal war es mir wichtig zu zeigen, wie viele einzelne Dinge es gibt, die Schätze sind, aber nicht immer automatisch als solche erscheinen. Und zu guter Letzt hat es mir sehr viel Freude gemacht, diesen Blogartikel zu schreiben oft mit einem Lächeln im Gesicht, glücklich, entspannt, positiv – das Wunder der Wertschätzung.
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